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News 4. März 2024

Berlin produziert Schieflagen für die nächsten Jahrzehnte

Berliner Bericht März 2024 – Die Ampel hat sich nach langem Ringen auf einen Kompromiss zum Bau neuer Kraftwerke verständigt.

In der Kolumne Bericht aus Berlin informiert Autor Wieland Kramer aktuell über die Bundespolitik.
In der Kolumne Bericht aus Berlin informiert Autor Wieland Kramer aktuell über die Bundespolitik.

Von Wieland Kramer

Das bereits im November des vergangenen Jahres vom Deutschen Bundestag verabschiedete Wachstumschancengesetz steckt in der Länderkammer fest. Ein Gesetz mit dem monströsen Namen „Gesetz zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovationen sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness“ bietet durch seine Komplexität die ideale Folie für den um sich greifenden Ampel-Protest. Jetzt hofft der rot-grüne Teil der Berliner Ampel-Koalition auf Rückenwind aus Brüssel. Der Ausschuss der Ständigen Vertreter hat dem Trilog-Ergebnis zum Net Zero Industry Act (NZIA) zugestimmt. Deutschland, so betont die Bundesregierung, habe sich für dessen Verabschiedung „stark eingesetzt“. Ziel des Net Zero Industry Act ist es, den Produktionshochlauf der Transformationstechnologien, also Solar- und Windenergie, Batterieherstellung sowie Wärmepumpen - den zentralen Elementen des nationalen Wachstumschancengesetzes - in der EU zu beschleunigen.

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Ob die Einigung in Brüssel der Berliner Regierung wirklich hilft, bleibt abzuwarten. Noch fehlen die Zustimmungen von EU-Parlament und Ministerrat und niemand kann sich sicher sein, das Deutschland dem Net Zero Industry Act bis zur Verabschiedung die Stange hält, wie das plötzliche deutsche Veto auf der Zielgraden zur Verabschiedung des Lieferkettengesetzes gezeigt hat. „The german vote“ ist in Brüssel alles andere als schmeichelhaft gemeint.

Auch bei der Reform des Strommarktes hatte die Bundesregierung auf eine Vorgabe aus Brüssel gehofft. Der Entwurf der Kommission wies deutlich die Handschrift aus Berlin auf. Doch das EU-Parlament zeigt wenig Lust, sich noch vor seiner Neuwahl im Juni mit dem Thema zu beschäftigen. Der Bundesminister für Wirtschaft, Energie und Klimaschutz hat jetzt versucht, ein wenig Druck vom Kessel zu nehmen. Doch anstelle eines durchgearbeiteten Strategiepapiers mit neuen kreativen Vorschlägen für umweltfreundlichen, versorgungssicheren und bezahlbaren Strom für alle kam nur eine dürre Pressemitteilung mit altbekannten Vorschlägen und Absichtserklärungen heraus. Schlimmer noch: Argumente und Fakten werden willkürlich gemischt und verknüpft: Damit die deutsche Industrie bis 2045 Stahl, Zement oder andere energieintensive Produkte ohne CO2-Ausstoß herstellen kann, sollen neue wasserstofffähige Gaskraftwerke gebaut werden. Und was ist mit mir, fragen sich Mittelständler, Handwerker und wahlberechtigte Bürger:innen.

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„Systemdienliche“ Standorte

Die neuen Gas-Kraftwerke sollen nur übergangsweise mit Erdgas betrieben werden. Zwischen 2035 und 2040 sollen sie von Erdgas auf grünen Wasserstoff umgestellt werden. Die genauen Umstellungstermine sollen 2032 festgelegt werden, also von einer fernen Regierung in der 22. Legislaturperiode. Die Bundesregierung sichert jedoch schon heute in ihrer etwas schmalbrüstigen Kraftwerksstrategie zu, dass künftig auch dann genügend Strom produziert wird, wenn wenig Sonnen- und Windenenergie zur Verfügung stehen. Die neuen Kraftwerke sollen an so genannten „systemdienlichen“ Standorten, also vor allem an Knotenpunkten zu energieintensiven großen Industriekomplexen entstehen. Man könnte die neuen Anlagen schnell und kostengünstig auch an alten Kohlekraftwerksstandorten mit vorhandener Netz- und Infrastruktur errichten.

Doch in trockenen Tüchern ist gar nichts: Die neue Kraftwerksstrategie soll spätestens im Sommer vom Bundeskabinett verabschiedet werden und die Voraussetzung für die notwendigen Investitionen schaffen. Vielleicht klappts bis dahin ja mit dem Rückenwind aus Brüssel, denn zu einem Kernthema einer zukünftigen Kraftwerksstrategie gehört der Kapazitätsmarkt, also Erlöse aus der reinen Bereitstellung von Kraftwerksleistung aus Erdgaskraftwerken. Ohne einen Kapazitätsmarkt ist die sichere Stromversorgung auf der Basis von Sonne und Wind nicht möglich. Es bleibt allerdings rätselhaft, warum für den Bau neuer Gaskraftwerke bei einem funktionsfähigen Kapazitätsmarkt noch aufwändige öffentliche Ausschreibungen durchgeführt werden müssen.

Immerhin heißt es in der Verlautbarung: Das Bundeswirtschaftsministerium arbeite „mit Hochdruck an den erforderlichen neuen Konzepten für den künftigen Strommarkt“. So ganz scheint die Bundesregierung aber den eigenen Vorstellungen nicht zu trauen: Man sei offen für weitere Technologien über den Wasserstoff hinaus und unterstütze Forschung und Entwicklungen zur CO2-Abscheidung und zur Kernfusion.

Warten auf Brüssel

Bekanntlich ist der Spatz in Hand wertvoller als die Taube auf dem Dach: Die Tür für einen Kapazitätsmarkt - frühestens ab 2028 - ist jetzt nach jahrlanger Verweigerung zumindest einen Spaltbreit geöffnet. Konkretes ist von der Bundesregierung aber nicht zu hören. Nach bewährtem Muster wird wohl auf Beschlüsse aus Brüssel gewartet. Doch ein weiteres Problem türmt sich auf. Umweltfreundlichen Stahl und emissionsarmes Aluminium kann es nur geben, wenn der eingesetzte Strom in Hüttenwerken und Elektrolysen aus grünen Quellen stammt. Der Anteil von grünem Strom an der Versorgung wächst derzeit aber vor allen, weil der Gesamtverbrauch konjunkturell bedingt sinkt.

Wenn Elektrostahlwerke sowie Aluminiumhütten und Schmelzwerke ihren Grünstrombedarf drastisch erhöhen, um emissionsfrei zu produzieren, wird es eng und teuer auf dem Strommarkt. Wichtig ist, dass auch bei Dunkelflauten Strom preisgünstig bereitgestellt werden. Mit neuen wasserstofffähigen Gaskraftwerken und teurem Flüssigerdgas aus den USA ist dies wohl eher unsicher bis unrealistisch. Sicher ist nur: Bis 2030 wird sich die nationale Energie- und Klimapolitik mit oder ohne Rückenwind aus Brüssel durch ihre Beschlüsse und Vorgaben von heute in eine massive Schieflage manövrieren.

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