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Branche 20. März 2024

Aluminium ist ein zentrales Puzzleteil für die Dekarbonisierung Europas

Im Interview mit Frank Busenbecker und Volker Backs spricht die Redaktion des International ALUMINIUM Journal über die konjunkturelle Lage sowie die Dekarbonisierungsstrategie der Aluminiumindustrie.

Die Strangpressindustrie ist einem enormen Importdruck aus Osteuropa ausgesetzt. Im Interview spricht  die Redaktion des International ALUMINIUM Journal mit Frank Busenbecker und Volker Backs über die aktuelle Situation in der Aluminiumindustrie.
Die Strangpressindustrie ist einem enormen Importdruck aus Osteuropa ausgesetzt. Im Interview spricht  die Redaktion des International ALUMINIUM Journal mit Frank Busenbecker und Volker Backs über die aktuelle Situation in der Aluminiumindustrie.

Deutschland ist mit Abstand der größte Produzent von Aluminiumhalbzeugen in Europa und einer der größten weltweit. Im Fachverband Aluminiumhalbzeug von Aluminium Deutschland sind die Hersteller von Press- und Ziehprodukten, Walz- und Schmiedeprodukten sowie Ronden und Butzen organisiert. Der Fachverband repräsentiert die größte Produzentengruppe innerhalb der deutschen Aluminiumindustrie. Von 2018 bis 2024 war Frank Busenbecker, Director DACH Strategy bei der Hydro Extrusion Europe, Vorsitzender des Fachverbands. Nach zwei Amtszeiten gibt er den Sitz satzungsgemäß ab. Im Zuge der Mitgliederversammlung des Fachverbands wurde Volker Backs, Mitglied der Geschäftsführung der Speira GmbH, im März zum neuen Vorsitzenden gewählt.

Die AJO-Redaktion sprach mit Frank Busenbecker und Volker Backs über die konjunkturellen Lage der deutschen Aluminiumindustrie, die Dekarbonisierungsstrategie der Branche.

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Herr Busenbecker, Herr Backs, bitte skizzieren Sie uns kurz die Stimmungslage und die konjunkturelle Situation der deutschen Aluminium-Halbzeugindustrie, Stand Frühjahr 2024.

Frank Busenbecker: Die Stimmung ist weiterhin sehr angespannt. Das Geschäftsklima in der Halbzeugindustrie ist nach wie vor klar im negativen Bereich. Die deutschen Halbzeuger blicken bereits auf ein enorm schwieriges Jahr 2023 zurück. Deutschland befindet sich in einer Rezession, die Energiepreise sind zu hoch und viele Kundenindustrien schwächeln. Insbesondere die Baubranche befindet sich durch das aktuell hohe Zinsniveau in einer Krise. Das bekommen wir deutlich zu spüren. Aber auch in anderen Branchen, wie etwa der Automobilindustrie, wachsen die Bäume nicht mehr in den Himmel. Im vergangenen Jahr ging das Produktionsvolumen im Halbzeugbereich um 9 Prozent auf 2,3 Mio. Tonnen zurück. Dabei verzeichneten die Strangpresser mit -15 Prozent einen deutlich stärkeren Rückgang als die Walzer mit -7 Prozent. Zum Jahresstart 2024 zeigt die Produktion in die gleiche Richtung.

Wird es 2024 zu einem Turn-Around kommen?

Volker Backs: Die Bundesregierung hat ihre Wachstumsprognose für 2024 jüngst deutlich gekappt. Sie rechnet aktuell lediglich noch mit einem Wirtschaftswachstum von 0,2 Prozent. Auch mittelfristig sehen das Potenzialwachstum und die Aussicht auf Investitionen eher wenig dynamisch aus. Das ist zu wenig für einen Standort wie Deutschland! Aktuell sieht es zumindest danach aus, dass wir die Inflation langsam in den Griff bekommen. Das dürfte dazu führen, dass die Europäische Zentralbank die in Aussicht gestellte Leitzinssenkung vornimmt und die Konjunktur an Momentum gewinnt – insbesondere die Baubranche. Für die deutschen Halbzeuger gehen wir im Jahresverlauf, insbesondere im zweiten Halbjahr, von einer Belebung des Geschäfts aus. Dennoch bleibt das Jahr 2024 insgesamt schwierig. Auf dem deutschen Markt für Walzprodukte sehen wir leichte positive Signale.

neue Exrtrusion
Hydro Rackwitz nimmt neue Strangpresse in Betrieb
Nach nur zehn Monaten Bauzeit wurde die neue Strangpresslinie von Hydro Extrusion Rackwitz Ende November erfolgreich in Betrieb genommen. 

Frank Busenbecker: Im Strangpressbereich gehen wir im Gesamtjahr von einer mehr oder weniger stabilen Entwicklung auf der Marktseite aus. Dabei sind wir in Deutschland weiterhin einem enormen Importdruck aus Osteuropa und vor allem der Türkei ausgesetzt. Die Türkei hat ihre Strangpresskapazitäten in den vergangenen Jahren enorm ausgebaut und bezieht vor allem russisches Primärmetall zu vergünstigten Konditionen. Nicht nur deswegen ist es richtig und wichtig, dass sich AD gemeinsam mit European Aluminium mit aller Vehemenz dafür stark macht, dass russisches Primäraluminium von der Europäischen Union sanktioniert wird.  

Zum Jahresende 2023 hat Speira die Produktion von Hüttenaluminium eingestellt, es gibt jetzt nur noch einen verbleibenden Primäraluminiumproduzenten in Deutschland. Welche Auswirkungen hat die verminderte Primärproduktion auf die hiesigen Wertschöpfungsketten?

Volker Backs: Speira erhöht seit Jahren den Sekundäraluminium-Einsatz durch Investitionen in Recycling in unseren Werken. Und im Frühjahr 2023 haben wir darüber hinaus die Real Alloy Europe übernommen, mit beachtlicher Aluminium-Recyclingkapazität. So konnten wir die verbliebene Primärproduktion im Rheinwerk mehr als ersetzten. Unsere Weiterverarbeitung und Produkte werden dadurch nachhaltiger. Dies entspricht unserer Strategie, nämlich der Transformation zu einem führenden Walz- und Recyclingkonzern.

Das Herunterfahren der Primärerzeugung zum jetzigen Zeitpunkt ist das Ergebnis aus den Unsicherheiten der Energiepolitik und bei den Carbon-Leakage-Schutzinstrumenten für unsere Industrie im globalen Wettbewerb. Auf diese Situation haben wir, übrigens gemeinsam mit unseren Mitarbeitern und Gewerkschaften, seit längerem deutlich hingewiesen. Grundsätzlich erhöht das Abwandern von energieintensiven Grundstoffindustrien Abhängigkeiten für unsere Volkswirtschaft, und bedeutet den Verlust von Kompetenz und Wertschöpfung.

Frank Busenbecker: AD hat immer wieder betont, wie wichtig es ist, dass die bestehende vollständige Aluminium-Wertschöpfungskette in Deutschland erhalten bleibt. Sie ist heute bedeutender denn je für unsere Resilienz und Versorgungssicherheit. Nicht umsonst ist Aluminium ein Teil des Critical Raw Material Acts der Europäischen Union. Der Werkstoff ist unverzichtbar für den Green Deal und die Dekarbonisierung Europas. Gleichzeitig finden drei Viertel der weltweiten Primäraluminiumproduktion in China, Russland und dem Nahen Osten statt. Gerade deswegen muss es ein strategisches Anliegen sein. Aluminiumrecycling wird in den kommenden Jahren eine immer größere Rolle spielen – das ist klar. Aber dennoch wird der steigende Aluminiumbedarf allein damit nicht zu decken sein. Wir brauchen die Hütten auch künftig!

Aluminium Deutschland und seine Protagonisten drücken immer wieder ihre Unzufriedenheit mit der aktuellen Politik aus. Welche konkreten Forderungen haben Sie?

Volker Backs: Man sollte Klimaschutz und industrielle Wertschöpfung bzw. Wohlstand nicht gegeneinander ausspielen. Die deutsche und europäische Aluminiumindustrie steht nach wie vor hinter den Zielen des European Green Deal. Klimaschutz ist eine zentrale gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Da sind wir in der Pflicht. Zum einen müssen und werden wir unsere eigenen Produkte und Prozesse weiter dekarbonisieren. Zum anderen werden wir unsere Kunden weiter bei ihrer Dekarbonisierung unterstützen. Aluminium ist für die zukunftsfähige Gesellschaft schlicht notwendig und damit Teil der Lösung! Klimaschutz geht nur mit einer starken und wettbewerbsfähigen europäischen und deutschen Industrie. Dazu müssen Berlin und Brüssel Rohstoff-, Energie-, Klima- und Industriepolitik integriert denken und praktizieren – und nicht als isolierte Komplexe, in denen sich laufend Zielkonflikte und neue Berichtsbürokratie ergeben. Wir begrüßen deshalb, dass sich so zahlreiche Unternehmen, Verbände und andere Organisationen genau aus diesem Grund zusammengetan haben – mehr als 600 an der Zahl! In der Antwerpener Erklärung werben sie für einen European Industrial Deal und stellen dazu zehn Kernpunkte auf. Zu den Unterzeichnern der Erklärung gehören auch Aluminium Deutschland sowie unsere Partner von European Aluminium und der WirtschaftsVereinigung Metalle, und natürlich die Speira. Wichtigste Voraussetzung für uns in Deutschland sind und bleiben aber – da sind wir ganz ehrlich – wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen.

Speira gehört zu den Unterzeichner der Antwerpener Erklärung, in der 70 europäische Unternehmen für einen European Industrial Deal werben.
Speira gehört zu den Unterzeichner der Antwerpener Erklärung, in der 70 europäische Unternehmen für einen European Industrial Deal werben.

Während die Unternehmen mit den schwierigen Standortbedingungen kämpfen, sehen sie sich gleichzeitig einem zunehmenden Wettbewerb mit Importeuren aus Drittstaaten ausgesetzt, in denen ökologische, soziale und ethische Standards deutlich niedriger sind. Wie wirken sich diese Importe auf die hiesigen Unternehmen aus?

Frank Busenbecker: Das ist das Problem. Nehmen wir wieder die Türkei, ihre schwache Währung und das günstige Metall aus Russland. Die deutschen Extruder haben seit 2021 ca. 4 Prozentpunkte Marktanteil in Deutschland eingebüßt. Eben genau dieses Stück des Kuchens haben uns türkische Strangpresser abgenommen. Sie profitieren auf unsere Kosten vom brutalen und rücksichtlosen Krieg in der Ukraine, mit dem uns Putin seit mehr als zwei Jahren in Atem hält. Wenn wir glaubhaft zu unseren Werten stehen wollen, müssen wir dem einen Riegel vorschieben und die Importe von russischem Metall, auch über Umwege, verbieten! Wir betonen es immer wieder: Wir scheuen nicht den Wettbewerb, aber er muss zu fairen Bedingungen stattfinden.

Volker Backs: Für den Walzbereich gilt das ebenso. Wettbewerb gerne, aber wir brauchen ein Level Playing Field. Alle ESG-Instrumenten, die wir entweder als Branchenstandards oder durch den Gesetzgeber einführen, sollten ja eigentlich motivierende Nachahmereffekte im Rest der Welt auslösen, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Tatsächlich konkurriert unser europäischer Green Deal aber mit massiver wettbewerbswidriger Exportförderung durch Staaten wie beispielsweise China. Die EU-Kommission hat nach langer Prüfung reagiert und 2021 Anti-Dumping-Zölle auf chinesische Walzprodukte eingeführt. Diese Zölle wirken. Die chinesischen Importe sind seitdem auf ein erträgliches Maß zurückgegangen. Dafür mussten wir lange kämpfen.

Speira supports the Antwerp Declaration, which calls for an Industrial Deal to complement the EU's Green Deal.
Aluminiumbranche unterstützt Antwerpener Erklärung
Speira, European Aluminium und die Wirtschaftsvereinigung Metalle haben die Antwerpener Erklärung zur Ergänzung des Green Deal der EU unterzeichnet.

Die Dekarbonisierung der Industrie ist eine große Herausforderung. Wie kann die Aluminiumproduktion und -verarbeitung insgesamt „grüner werden“?

Frank Busenbecker: Klar ist: Der CO2-Fußabdruck wird zunehmend zum Wettbewerbsfaktor. Die Kunden dekarbonisieren ihre Lieferketten und sehen das Potenzial, das Aluminium in diesem Prozess hat. Natürlich fragen sie dann Low Carbon Aluminium nach – und wir liefern. Und natürlich müssen wir dafür unsere Hausaufgaben machen und besser werden. Ein massiver Hebel ist der Ausbau der Erneuerbaren Energien. Ist der Strom, der in den Hütten eingesetzt wird, grün, so ist auch unser Metall deutlich grüner. Zusätzlich forschen viele Unternehmen unter Hochdruck an der Anodentechnologie, damit die Elektrolyse kohlenstoffärmer bzw. -frei wird.

Volker Backs: Die weitere riesige Stellschraube ist das Recycling. Wir alle wissen, dass Recycling gegenüber der Primärproduktion bis zu 95 Prozent der eingesetzten Energie spart und Recyclingaluminium damit wesentlichen Faktor für dekarbonisierte Lieferketten ist. Nadelöhr ist vor allem die Schrottverfügbarkeit und -sortenreinheit, damit verschiedene Legierungen mit ihren spezifischen Eigenschaften im Wertstoffkreislauf erhalten bleiben. Was Sammel- und Sortiertechnologien angeht können wir bereits viel, wir können allerdings auch noch besser werden. Auch können wir gemeinsam mit unseren Kunden „Design for Recycling“ konsequenter vorantreiben, damit die Produkte am Ende ihres Lebenszyklus einfach und sortenrein demontiert werden können. So kann – salopp gesagt – aus einer Alufelge wieder eine Alufelge und aus einem Fensterrahmen wieder ein Fensterrahmen werden. Das Vorzeigebeispiel für gelungenes „Closed Loop Recycling“ ist die Aluminium-Getränkedose. Hier erreichen wir in Deutschland bereits eine Recyclingrate von 99 Prozent. Nach nur sechs Wochen steht die Dose wieder im Supermarktregal!

Die Spezialisierung auf technologisch anspruchsvolle Kunden garantierte lange Zeit die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Halbzeug-Branche. Wird das auch in Zukunft noch so sein, können die deutschen Aluminiumverarbeiter weiterhin im internationalen Wettbewerb noch bestehen?

Frank Busenbecker: Davon sind wir überzeugt! Die schwache Nachfrage aus den Kundenindustrien macht uns zu schaffen, keine Frage. Doch mit den richtigen Stellschrauben, die Vertrauen und Planungssicherheit in der Wirtschaft schaffen, wird sich der konjunkturelle Wind auch wieder drehen. Deutschland war auch vor der derzeitigen Krise einer der Standorte mit den weltweit höchsten Kosten, seien es Energie- oder Lohnkosten. Für uns Halbzeuger – Strangpresser wie Walzer – muss der Anspruch weiterhin sein, die besten und technologisch fortschrittlichsten Erzeugnisse herzustellen. Produkte, die dem Wettbewerb immer einen Schritt voraus sind und den weltweit geringsten CO2-Fußabdruck haben. Nur so können wir unsere Kunden überzeugen und im internationalen Wettbewerb standhalten. Innovationen machen den Standort Deutschland aus. Dazu gehört auch, dass wir unsere Aluminium-Kompetenzkette stetig weiterentwickeln. Umso wichtiger ist es, dass das gesamte Ökosystem von den Universitäten und Forschungseinrichtungen über kluge und motivierte Köpfe bis hin zur geschlossenen Lieferkette erhalten bleibt – das ist das Grundgerüst für internationale Wettbewerbsfähigkeit.

Welche Marktpotenziale sehen Sie für Walz- und Strangpressprodukte aus Aluminium in den kommenden Jahren, abgesehen von einem vermehrten Einsatz des Leichtmetalls im Automobil?

Volker Backs: Wir betonen nicht umsonst immer wieder, dass der Green Deal ohne unseren Werkstoff nicht funktionieren kann. Aluminium ist ein zentrales Puzzleteil für die Dekarbonisierung Europas. Und genau darin liegt ein riesiges Wachstumspotenzial. Aluminium ist die Grundlage für Solarpaneele, Windturbinen, Netzinfrastruktur, Elektroautos und vielem mehr. All diese Technologien, die im Net-Zero-Industry-Act der EU als „Netto-Null-Technologien“ ausweist, sind auf unser Metall angewiesen. Allein für den Ausbau der Erneuerbaren werden bis 2030 mehrere Millionen Tonnen Aluminium gebraucht. Deswegen muss die geschlossene Wertschöpfungskette am Standort erhalten bleiben. Mit den richtigen politischen Rahmenbedingungen in Deutschland und Europa können wir unseren Beitrag zu Transformation, Wachstum und Wohlstand leisten und sicherstellen, dass die Klimaziele erreicht werden können.

Vielen Dank für das Gespräch.

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